Theoretisch ist Kommunikation kein Problem, auch wenn es Menschen gibt, die für ein professionelles Kommunikationstraining locker einen vierstelligen Betrag auf den Tisch legen – pro Tag. Da möchte ein „Sender“ etwas mitteilen. Er ordnet seine Gedanken, codiert diese auf seine ganz spezifische Weise, wandelt sie in Worte, Mimik und Gestik und schickt sie über verschiedene Kanäle zum potentiellen Empfänger.
Decodierung
Der Empfänger decodiert diese Reize gleichfalls auf seine ganz spezifische Weise und filtert alle eingehenden Signale vordergründig nach seinen Interessen. Wie das empfangene Abbild aussieht hängt dabei wesentlich vom Wahrnehmungstyp des Empfängers ab. Eigentlich ganz einfach, wenn nicht wie so oft auch in der Kommunikation, der Teufel im Detail liegt.
Hören wir uns zuerst einmal den Sender aus einer Schule an:
„Liebe Erwachsene, versucht gar nicht erst so zu sprechen wie wir, weil es sich einfach megascheisse anhört, wenn so Noobs, wie ihr’s nun mal seid, einen auf heisse Chicks und dicke Player machen. Ihr könnt weder fronten noch reimen, tschekts halt, weil euch die Skills fehlen, um uns zu ownen. Ihr seid einfach nicht fett genug. Ihr seid und bleibt playerhaters.“
Haben Sie die Sendung decodiert? Was will man Ihnen sagen? Haben wir nach der Rechtschreibreform vielleicht noch andere Reformen aus der Schule verpasst? Was in den Augen
Erwachsener häufig als Respektlosigkeit, sprachliche Faulheit, Verwahrlosung, Ausdruck von Coolness oder übersteigerter Emotionalität erscheint, entspringt gleichzeitig einem Bedürfnis nach Abgrenzung und Zugehörigkeit. Die Abgrenzung von Erwachsenen wird im Bestreben nach Unabhängigkeit signalisiert, Gleichzeitig wird damit die Zugehörigkeit zur einer eigenen «Peergroup», der Gruppe von Jugendlichen, an der man sich orientiert, gezeigt. Es ist ein Ausdruck des geteilten Wissens und dessen, was in der jeweiligen Gruppe als angesagt gilt. Insofern richtet sich Jugendsprache in erster Linie an die eigene Bezugsgruppe.
Ein zweiter Sender, diesmal ein Wissenschaftler mit einem Auszug aus seinem Fachvortrag Nanotechnologie, verdeutlicht die Unterschiede zum ersten Sender. Beide benutzen zwar die gleiche Sprache „Deutsch“, aber ob sie miteinander kommunizieren können? Hören wir kurz rein:
„Die effektive und selektive Elimination von Zellen mittels Nano-Photothermolyse konnte sowohl für Zellen in einer Suspension, als auch für adhärent wachsende Zellen gezeigt werden. Mit den in dieser Arbeit ermittelten Parametern war es möglich, Zellen mit einer Effizienz von über 99,999 % zu eliminieren bzw. aufzureinigen.“
Hat Ihre Decodierung diesmal besser geklappt? Woran kann es liegen, wenn beide Sender als Empfänger des jeweils Anderen offensichtlich enorme Schwierigkeiten miteinander bekommen?
- Sind die Informationen akustisch nicht angekommen? Eher nicht!
- Will der Empfänger nicht zuhören? Das ist sehr wahrscheinlich, die Interessengebiete liegen weit auseinander.
- Verfügen Sender und Empfänger vielleicht nicht über die gleichen Hintergrundinformationen? Sicher, das technische Verständnis der Nano-Photothermolyse geht wesentlich über die Kenntnisse der Allgemeinbildung hinaus.
Aber warum codiert der Wissenschaftler seine Gedanken in einer so anderen Form, als der pubertierende Jugendliche? Hat er Angst, seine Leistung könnte in der Fachwelt nicht anerkannt werden, wenn die Publikation nicht mit chinesisch anmutenden Fachbegriffen gespickt wird? Oder wird auch er – analog dem Schüler – getrieben vom Bedürfnis nach Abgrenzung und Zugehörigkeit zu einer speziellen Gruppe?
Störsender
Wenn es meine Zeit erlaubt, schaue ich mir gern mal eine Talk-Show an. Interessant ist für mich weniger das Thema, als vielmehr die Gäste und wie sie miteinander umgehen. Bereits nach einer kurzen Aufwärmphase verschieb sich fast immer das Verhältnis zwischen „Sendern“ und „Empfängern“ in Richtung Erstgenannter. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals eine Aussage hinterfragt wurde, z.B.: Wie kann ich dies und jenes verstehen? Zum Schluss habe ich oft den Eindruck, Keiner will mehr zuhören, Jeder hat was zu sagen und das alles zur gleichen Zeit. Ist das Kommunikation? Dabei sind die geladenen Gäste überwiegend hochgebildet und es stellt sich die Frage: Wollen Sie nicht kommunizieren oder können Sie es nicht? Oder will man lediglich als „Störsender“ aktiv sein und verhindern, dass eine andere, als die eigene Meinung den „Empfänger“ erreicht und dabei den eigenen Standpunkt in Frage stellt?
Werfen wir abschließend einen Blick nach Stuttgart, genauer nach Stuttgart 21. Die Schlichtung zum strittigen Bahnprojekt unter Heiner Geißler war keine Talk-Show und das Hauptziel war sicher auch nicht die Einschaltquote der TV-Übertragung. Dennoch, das Publikumsinteresse war enorm und die Moderation des Herrn Geißler eine Meisterleistung der Kommunikation. Dabei lag seine eigentliche Leistung weniger im Inhalt des oft stark emotional geführten Gedankenaustausches, als vielmehr in der Koordination. Beschränkung der Redezeit, Aufforderung zu allgemein verständlichen Aussagen, kein Zulassen von Zielabweichungen, gegenseitige Achtung und sachliche Diskussion sind nur einige Punkte, die von allen Seiten zu einer positiven Bewertung der Moderation führte. Mit der Schlichtung waren alle Seiten sehr zufrieden, mit dem Ergebnis weniger.
Bleibt eine Frage. Brauchen wir in einer Demokratie wie der Unseren vielleicht einen Diktator? Einen Menschen, der sich über die Köpfe der Streithähne erhebt und die Spielregeln diktiert? Paradox die Frage.
Auch wenn ich bei diesem Thema heute nur an der Oberfläche schwimmen kann und – ich kann es nicht leugnen – auch ein wenig provoziert habe, hoffe ich ein wenig Ihre grauen Gehirnzellen angeregt zu haben und freue mich auf Ihr Feedback. Da ich mehr Fragen zur Kommunikation aufgeworfen, als beantwortet habe wird die nächste Folge zum gleichen Thema nicht lange auf sich warten lassen.
Ihr Wilfried Krause
Sehr schöner Beitrag.
Der Sender aus der Schule brachte mich wirklich zum schmunzeln 🙂
Ein großes Problem in der heutigen Kommunikation ist das Unvermögen, sich überhaupt ausdrücken zu können. Wie oft passiert es mir, dass ich bei Blogbeiträgen oder beim Lesen von Forenthemen einfach nur den Kopf schütteln muss.
Mangelnde Bildung, mangelndes Interesse, die Vorstellung, Andere beeindrucken zu müssen, oder cool zu erscheinen, was auch immer die Gründe sein mögen, es ist erschreckend, wie schlecht sich ausgedrückt wird.
Zu früheren Zeiten wäre dies weniger problemeatisch gewesen, aber betreffende Personen posten, schreiben , twittern, kommentieren im Internet, tun Ihre Meinung Tausenden von Menschen kund.
Ich hoffe inständig, dass das Bildungsniveau Deutschlands in den kommenden Jahren drastisch steigt, damit wir uns irgendwann wieder zu Recht “ Land der Dichter und Denker“ nennen dürfen!